Hunderte Stunden intensiver Recherche, Diskussion, sorgfältiger Digitalisierung und Verfeinerung mündeten in eine umfassende Serie innovativer digitaler Schriftrevivals. Diese Website beschreibt die Prozesse und zeigt die Ergebnisse eines intensiven typografischen Abenteuers der Fachleute Walda Verbaenen, Michel Paré und Lukas Schneider.
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Die Schriftrevivals gingen aus einem Gruppenprojekt von fünf Studierenden der „Expert class Type design (EcTd)“ hervor, welche 2014–2015 am Plantin-Institut für Typografie in Antwerpen unter der Leitung von Dr. Frank E. Blokland stattfand. Gegenstand des Kurses waren die Schriften des Stempelschneiders Jacques-François Rosart aus dem 18. Jahrhundert. Walda, Michel und Lukas, drei der Alumni des Kurses, untersuchten Rosarts Stempel, Matrizen, Lettern und Drucke am Museum Plantin-Moretus im belgischen Antwerpen und im Noord-Holland Archief im niederländischen Haarlem.
Die vorgestellten digitalen Schriften umfassen eine Reihe von Text- und Display-Schnitten, dekorative Versal-Alphabete und Ornamente. Es handelt sich hierbei zweifellos um die derzeit größte und umfassendste Serie von Revivals, die auf dem Werk eines einzelnen Stempelschneiders basieren.
Jacques-François Rosart gehörte neben Johann Michael Fleischmann zu den bedeutendsten Stempelschneidern in den Niederlanden des 18. Jahrhunderts.
Rosart wurde 1714 in Namur im heutigen Belgien geboren. Dass er aus einer Familie von Goldschmieden stammte, war zur damaligen Zeit keine Seltenheit für Schriftschneider und Graveure. Im Jahr 1740 kam er als Autodidakt nach Haarlem in Holland. Rosart gestaltete eine Vielzahl an Schmuckschriften sowie sogenannter Aldusblätter und tat sich durch Innovationen auf dem Gebiet des Musiknotendrucks hervor. Auch schnitt er verschiedene lateinische, flämische (d.h. gebrochene) und hebräische Alphabete sowie eine umfangreiche Auswahl an Ornamenten.
Rosart war zunächst relativ erfolglos, nicht zuletzt weil der bekannte Drucker Joh. Enschedé in Haarlem die Schriften seines Rivalen Fleischmann (1707–1768) vorzog. Enschedé zeigte jedoch Interesse an Rosarts Schriften für größere Grade, seinen floralen Schmuckfiguren und für den Musiknotendruck entworfenen Typen. Rosart schrieb über die Schriftgießerei Enschedé: „Ich war es, der eine Vielzahl ihrer Schriften geschnitten hat […] Ich hoffe, dass ich mein Können in ganz Europa unter Beweis stellen kann.“
Unglücklicherweise musste Rosart dennoch Konkurs anmelden und seine Werkstatt verkaufen. Er gab seine Tätigkeit als Stempelschneider jedoch nicht auf und ließ sich im Jahr 1759 in Brüssel nieder.
Die österreichische Regierung, die zu dieser Zeit über Belgien herrschte, wollte ein Buchgewerbe begründen. Rosart hatte das Glück, eine Schriftgießerei unter dem Protektorat des Herzogs von Lothringen einrichten zu dürfen. Im folgenden Jahrzehnt, genauer gesagt in den Jahren 1761 und 1768, veröffentlichte Rosart zwei Schriftmusterbücher, denen ein äußerst großer Erfolg beschieden war. Rosart gelang es, seine Schriften an Gießereien in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland zu verkaufen, bevor er im Jahr 1777 verstarb.
Obwohl der niederländische Barockstil in einigen Buchstabenformen klar hervortritt, werden die von Rosart geschnittenen Schriften eher als „Übergangs-Antiqua“ oder auch als „vorklassizistische Antiqua“ klassifiziert. Diese kombinieren Elemente archetypischer Renaissance-Modelle, die auf das Schreiben mit einer Breitfeder zurückzuführen sind, mit solchen des klassizistischen Stils, welche auf der Formensprache des Schreibens mit der Spitzfeder basieren. Das Modell „Garamond“, das sich auf die Schriften von Claude Garamont (1499–1561) bezieht, ist typisch für den Renaissancestil, während das Werk von Giambattista Bodoni (1740–1813) exemplarisch für die klassizistische Antiqua steht. Rosarts Schriften stellen eine Mischung dieser beiden Stile dar. Wie es vor dem 20. Jahrhundert erforderlich war, schnitt Rosart jeden Schriftgrad (heute würde man von Punktgröße sprechen) einzeln und benannte sie gemäß den damaligen Standards, wie zum Beispiel „Moyenne“, „Cicero“, „Paragon“, „Nonpareille“ und „Grand Canon“. Dies bedeutet allerdings nicht, dass er für jeden Schriftgrad per se ein anderes Modell als Grundlage heranzog. Schließlich war es ihm möglich, ein bestimmtes Modell auf mehrere Größen zu übertragen.
Seiten aus Rosarts Schriftmusters von 1768.
Eine Kiste mit originalen Matrizen „Garamonde Romaine“ aus dem Museum Plantin-Moretus.
„Grand Canon Romain“ in Rosarts Schriftmuster von 1768.
Als erster Ausgangspunkt für die Recherche und die anschließende Digitalisierung diente ein Druck von Rosarts „Grand Canon Romain“. Dieses Muster eines größeren Grads, welches nach heutigen Standards einer Schriftgröße von etwa 30 Punkt entspricht, erlaubte einen genaues Studium der feineren Details.
Für die weitere Recherche der gestalterischen Eigentümlichkeiten Rosarts wurden auch seine beiden in den Jahren 1761 und 1768 in Brüssel veröffentlichten Schriftmusterbücher herangezogen. Als wichtige Quellen dienten darüber hinaus das beeindruckende Standardwerk „Fonderies de caractères et leur matériel dans les Pays-Bas du XVe au XIXe siècle by Charles Enschedé“, welches 1908 von der Schriftgießerei Enschedé veröffentlicht wurde, sowie dessen unter der sorgfältigen Aufsicht von Bram de Does überarbeiteter und erweiterter Nachdruck aus dem Jahr 1978. Weiteres einzigartiges Material stellten die Original-Stempel und -Matrizen Rosarts dar, welche in der Sammlung des Museums Plantin-Moretus aufbewahrt werden.
Schon kurz nach Beginn des Rosart-Projekts im Kurs der „Expert class Type design“ kamen die Studierenden zu dem Entschluss, sich in zwei Gruppen aufzuteilen, um eine Text- und eine Display-Version zu entwerfen. Der Grund dafür war, dass Rosarts „Grand Canon Romain“ ursprünglich für größere Anwendungen geschnitten wurde und man die digitalisierte Version kaum für Fließtext in kleineren Schriftgrößen hätte benutzen können.
Als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Text-Version konnte die Digitalisierung des für größere Anwendungen gedachten Modells jedoch genutzt werden. Während die Gruppe, welche für die Display-Version verantwortlich war, die feinen Details der größeren Modelle von Rosart diskutierte und herausarbeitete, konzentrierte sich die andere Gruppe darauf, die Parameter der Digitalisierung so zu optimieren, um das Modell für Fließtext verwendbar zu machen. Zunächst wurde hierzu der Kontrast, also der Unterschied zwischen dicken und dünnen Strichen, verringert. In einem zweiten Schritt wurden Laufweite und Buchstabenproportionen angepasst, um der Anmutung klassischer Textschriften besser zu entsprechen.
Bis Ende 2015 entwickelte sich das Rosart-Revivalprojekt kontinuierlich weiter. Da der Schwerpunkt bei der Entwicklung aber auf die historischen Merkmale und deren Auswertung gelegt wurde, erhielt die digitale Text- und Display-Version, welche die Studierenden bis zum Ende des Kurses entwickelt hatte, nur einen kleinen, lediglich aus Groß- und Kleinbuchstaben, Zahlen und Satzzeichen bestehenden Zeichensatz. So lag der zeitaufwändige Prozess der Entwicklung einer voll funktionsfähigen Schrift, die den heutigen typografischen Anforderungen entspricht, noch vor den Beteiligten.
Nach Abschluss der „Expert class Type design“ kamen drei der Alumni – Walda, Michel, Lukas – zusammen mit dem Kursleiter Frank zu dem Entschluss, das Rosart-Revivalprojekt fortzusetzen. Michel, der bereits intensiv an den Ornamenten gearbeitet hatte, nahm die Versal-Alphabete für Titeleien in Angriff und arbeitete gemeinsam mit Walda an Rosarts floralen Versalien, während Lukas die Text- und Display-Schnitte weiterentwickelte.
Lukas analysierte zunächst die von den beiden Gruppen erstellten digitalen Schriftdateien und begann, den Zeichensatz sorgfältig zu erweitern. Beim Erstellen der ersten Zeichen für einen fetten Schnitt wurde klar, dass bestimmte Merkmale des bestehenden Regular-Schnitts angepasst werden mussten. Weil dazu weiteres Originalmaterial konsultiert und neue Zeichen gezeichnet oder bestehende angepasst werden mussten, wuchs der Arbeitsaufwand stetig an. Hinzu kam die Tatsache, dass die beiden Gruppen während des Kurses noch nicht mit der Gestaltung einer Kursiven begonnen hatten, was natürlich einen entsprechenden Mehraufwand bedeutete.
Während die Strichstärken und der Zeichensatz der Text- und Display-Version schrittweise erweitert wurden, wurde parallel zusätzliches Archivmaterial untersucht, um die Entwürfe möglichst originalgetreu umsetzen zu können. Michel und Walda hatten das Glück, Zugang zu den Originalstempeln im Museum Plantin-Moretus sowie im Noord-Hollands Archief zu bekommen, während Lukas kürzlich digitalisierte Titel aus verschiedenen Quellen, einschließlich der Bibliothek des Museums Plantin-Moretus, begutachtete. Eine wichtige Referenz in dieser Phase war unter anderem August Johan von Rösels Buch „De Natuurlyke Historie der Insecten“, ein seltenes Anwendungsbeispiel für Rosarts Schriften in Textgrößen und auch sonst eine wunderschöne Drucksache.
August Johan Rösel von Rosenhof, „De Natuurlyke Historie der Insecten“, Haarlem von C.H. Bohn en H. de Wit, 1765–1788.
Bilder: Collectie Stad Antwerpen, Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience.
Lukas fügt hinzu: „Über den Schriftgestaltungsprozess zu schreiben ist schwierig, da man bei der Arbeit kontinuierlich spontane Entscheidungen trifft, ohne diese zu dokumentieren. Ab einem bestimmten Stadium zeichnet sich die Formensprache und die Richtung, in der sich die Schrift entwickelt, klar ab. Der Prozess selbst kann aber oftmals nur wirklich verstanden werden, wenn man die Ergebnisse im Nachhinein mit dem ursprünglichen Originalmaterial vergleicht.“
Bei Rosarts „Grand Canon Romain“ beispielsweise fallen die Großbuchstaben relativ groß und deutlich fetter aus als die Kleinbuchstaben. Im Zeitalter des Barock war dies durchaus üblich und galt als modisches Stilmittel. Da eine solche Diskrepanz in einer zeitgenössischen Schrift eher unausgewogen wirken würde, wurde die Strichstärke der Großbuchstaben reduziert, so dass diese besser mit den Kleinbuchstaben harmonisieren. Ein Vorteil dieser offensichtlich ungleichmäßigen Gewichtsverteilung im Original bestand jedoch darin, dass man sich leichter vorstellen konnte, wie die Versalien in fetteren Schnitten aussehen sollten.
Im 18. Jahrhundert waren fetten Schriftschnitte noch nicht erfunden. Um Textstellen hervorzuheben oder Wörter dunkler erscheinen zu lassen, wurden zu dieser Zeit einfach gebrochene Schriften herangezogen. So erklärt sich, dass Rosart selbst nie an fettere Varianten seiner Schriftschnitte gedacht hatte. Dies erschwerte die Erstellung der fetten Schnitte jedoch grundsätzlich, denn komplexe Formen oder auch Punzen würden schnell zu dunkel, hielte man sich strikt an die Formensprache des Originals. Einige Formen, die in einem leichteren Schnitt gut lesbar sind, funktionieren in einer fetteren Fassung nicht mehr. Gerade bei den expressiven und verspielten Formen des Barock – und insbesonders in den Kursiv-Schnitten mit ihrem relativ steilen Winkel und den ausdrucksstarken Kurven – stößt man schnell auf Probleme.
Die Finesse des Originals in fetteren Schnitten beizubehalten (und gleichzeitig die Punzen und Formen für den Einsatz in kleineren Anwendungsgrößen offen genug zu halten) war eine echte Herausforderung. Die kursiven Buchstabenformen sind etwas schmaler gehalten als die der aufrechten Schnitte. So war es umso schwieriger, sie in Einklang mit dem Original zu zeichnen, je dunkler und fetter bestimmte Formen wurden. Einige Buchstabenformen, wie zum Beispiel das kursive „z“ (siehe etwa das Schriftmuster der „Petit Canon Italique Nr. 78“) sind sehr rhythmisch und komplex gestaltet. Daher fällt es schwer, sie zu verfetten, ohne etwas von der Eleganz und dem eigentümlichen Charakter Rosarts zu verlieren.
Allzu oft verblassen Details in historischen Drucksachen aufgrund der damaligen technischen Einschränkungen wie der Qualität des Papiers, der Konsistenz der Druckerschwärze oder des Buchdrucks selbst. Es gibt unzählige Variablen, die den Eindruck im Lauf der vielen seit der Entstehung vergangenen Jahre verfälschen können. Bei einem Schriftrevival sind es die Stempel, die oftmals einen einzigartigen Einblick bieten; nicht nur in die stille Kunstfertigkeit des Schriftschneiders, sondern auch in die ausschlaggebenden Entscheidungen und Nuancen des Originaldesigns, ob beabsichtigt oder nicht. Das Revival-Team hatte das große Glück, Zugang zu den von Rosart geschnittenen Originalstempeln zu erhalten und diese zu fotografieren, um die Details ausgiebig studieren zu können.
Originalstempel zu Rosarts Versalien für den Titelsatz – Fotos: Walda Verbaenen.
Um im Druck dunkle Flecken zu vermeiden oder die Unterscheidbarkeit bestimmter Zeichen in kleineren Größen zu verbessern, mussten manche Details geändert werden. Ein Beispiel dafür ist die Form des „h“ der kursiven Schnitte. Im Original hat es innen eine Tropfenform (siehe „Petit Canon Italique Nr. 785“, digitalisiert aus „Fonderies de caractères […]“). Diese Form sieht fast wie der Kleinbuchstabe „b“ aus, was insbesondere bei Verwendung in kleinen Größen verwirrend sein kann. Um die Verwechslungsgefahr für heutige Leser zu mildern, basiert die neue kursive Text-Version des Buchstaben „h“ auf dem Buchstaben „n“, wodurch die Form offener und somit leichter unterscheidbar wird. Um dem Original zu entsprechen, wurde die ursprüngliche Form des „h“ (mit der Tropfenform) als stilistische Wahlform in die digitalen Schriften aufgenommen.
Petit Canon Italique No. 785 aus dem Schriftmuster der Gebrüder Ploos van Amstel von 1767.
Petit Canon Italique No. 785 in Rosarts Schriftmuster aus dem Jahr 1752.
Petit Canon Italique No. 785 aus dem Schriftmuster von J. de Groot – Joh. Enschedé en Zonen, „Fonderies de caractères […]“, 1908.
Die Entwicklung der Kursiv-Schnitte offenbarte ganz eigene Herausforderungen, so zum Beispiel die Zurichtung der asymmetrischen Formen von Großbuchstaben wie „A“, „V“ und „W“. Normalerweise wird der Weißraum zwischen den Buchstaben ausgeglichen, um einen gleichmäßigen Wechsel von Schwarz und Weiß zu erhalten. Wenn Text ausschließlich in Großbuchstaben gesetzt wird, reißen diese asymmetrischen Formen bei bestimmten Buchstabenkombinationen Lücken, die nicht durch Unterschneidungen (Kerning) kompensiert werden können. Dies als stilistische Besonderheit Rosarts zu akzeptieren war in ein gewisser Weise ein eigener Lernprozess. Während des gesamten Revivals ergaben sich mehrere ähnliche Herausforderungen. Manchmal mussten einfach Kompromisse eingegangen oder Inkonsistenzen hingenommen werden. Im Nachhinein wurde aber klar, dass genau diese „Unstimmigkeiten“ den Charakter und den Charme von Rosarts Schriften ausmachen.
Lukas äußert sich dazu wie folgt: „Die Vielfalt an Originalmaterial führte manchmal eher zu mehr Verwirrung, beispielsweise wenn man in einem anderen Druck ein völlig anderes Design einer bestimmten Buchstabenform fand. Grundsätzlich wurden während des gesamten Entwicklungsprozesses immer wieder Materialien verglichen und sorgfältige Überlegungen angestellt, inwieweit die Interpretation vom Original abweichen kann, ohne die ‚Seele‘ des Originals zu verändern.
Um heutigen typografischen Standards besser zu entsprechen, wurden bestimmte Details wie zum Beispiel die Länge der Serifen der aufrechten Schnitte vereinheitlicht. Gleichzeitig war man bestrebt, das Gesamterscheinungsbild des Originalmaterials beizubehalten. Dies war bei den Kursiv-Schnitten gleichsam der Fall. Die Ausdruckskraft unterschiedlicher Neigungen und Winkel in bestimmten Buchstabenformen musste in der neuen Version leicht reduziert werden, um ein einheitlicheres und zeitgemäßes Erscheinungsbild zu erzielen.“
Sammlung verschiedener S-Formen, skaliert auf die selbe Größe. Der Stil der Abschlüsse und die Breite unterscheidet sich. Die große Vielfalt der Formen machte es manchmal schwierig zu entscheiden, in welche Richtung die digitale Version gehen sollte.
Verschiedene Formen des Buchstaben g – hier wird ersichtlich, dass Rosart sich nicht immer an ein bestimmtes Modell gehalten hat. Links: Le Parangon Italique No.788 (Ploos) – 1784/1790 Rechts: Le Petit Canon Italique No. 785 (De Groot) - 1780.
Vergleich von zwei U-Versalien. Hier sieht man ziemlich deutlich, wie unterschiedlich Rosart die Übergänge von Stamm zu Serife gestaltet hat. Links: Ein eher abrupter Übergang. Rechts: Eine eher fließende Verbindung.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es bei der Entwicklung eines Revivals nicht immer zwangsläufig hilfreich ist, eine große Menge an Originalmaterialien gleichzeitig zu begutachten. Aus gestalterischer Sicht ist dieses Projekt ein gutes Beispiel dafür, wie eine Vielfalt an historischem Material das Design einschränken und manchmal sogar widersprüchlich wirken kann. Denn genau an dem Punkt, an dem man davon ausgegangen war, dass man das gesamte Werk Rosarts gesehen hatte, tauchte etwas Neues, noch Ungesehenes auf. Dies erschien zuweilen kontraproduktiv, da es Teile der bis zu diesem Zeitpunkt entwickelten Formensprache in Frage stellte und Zweifel an früheren Entwurfsentscheidungen aufkommen ließ. Im Allgemeinen scheint es besser zu sein, ein bestimmtes Muster als Hauptreferenz zu verwenden, anstatt zu viele Materialien gleichzeitig heranzuziehen. Nichtsdestotrotz bot das Projekt einen einzigartigen Einblick, nicht nur in nahezu das gesamte Schaffen Rosarts, sondern auch indirekt in seinen Designprozess und wie er verschiedene Grundmodelle für aufrechte und kursive Schnitte über seine Karriere hinweg in neue Richtungen weiterentwickelt hat.
Originale, von Rosart geschnittene, Stempel – Fotos: Walda Verbaenen.
(Collection Enschedé, Noord-Hollands Archief, Haarlem).
Walda und Michel, die einige von Rosarts floralen Versalien digitalisierten, haben das historische Material von Rosart als Grundlage für ihre Entwürfe eingehend untersucht. Dafür recherchierten sie in den Sammlungen des Museums Plantin-Moretus und des Noord-Hollands Archief / Collection Enschedé. Dort konnten sie beispielsweise die Originalstempel und gedruckte Materialien in Augenschein nehmen und zahlreiche Dinge fotografieren bzw. digitalisieren. Dies ermöglichte es ihnen, Entscheidungen über Designdetails wie beispielsweise die Form der Serifen zu treffen.
Ein Vergleich zwischen Rosart (schwarz) und Pierre Simon Fournier (rot).
Die vier ausgewählten Serien von Rosarts Stempeln für florale Versalien wurden detailliert fotografiert. Weitere Quellen für die Recherche waren verschiedene gedruckte Exemplare, insbesondere „Typespecimen of J.F. Rosart, 1768“, „Proef van letteren, Enschedé 1773“, „Épreuve des Caracteres de la Fonderie de la Veuve Decellier, 1779“ und „Typefoundries of the Netherlands, Enschedé, 1978“. Sehr hilfreich war auch Charles Enschedés Bericht in „Fonderies de caractères […]“.
Die Stempel und Schriftmuster dieser Versalien wurden von Michel und Walda bei mehreren Besuchen in der Sammlung Enschedé untersucht und fotografisch dokumentiert.
Originale Stempel der „Titling Capitals“, die Rosart geschnitten hat – Fotos: Walda Verbaenen.
Capitale de Paris – Rosarts „Titling Capitals“.
Vergleich von Rosarts Versalien, die er in Haarlem (links) und einige Jahre später in Brüssel (rechts) geschnitten hat.
„Open Capitals“, Stempel geschnitten von Rosart, Collection Enschedé. Foto: Walda Verbaenen.
Die Entwicklung der lichten (offenen) und Titel-Versalien ist derzeit noch in Arbeit. Durch einen Vergleich der floralen Alphabete mit den in Haarlem und Brüssel hergestellten Versalien für Titeleien stellte Michel fest, dass erstere basierend auf dem „Grundgerüst“ der Titel-Versalien erstellt wurden.
Das Revival der Textura stellte sich als wesentlich weniger kompliziert heraus als das der Text- und Display-Schriften, da das Modell, dem Rosart für seine gebrochenen Schriften folgte, viel eindeutiger war. So existieren beispielsweise nur wenige gedruckte Beispiele und nur sehr wenige in größeren Größen, was den Recherche- und Entwicklungsprozess deutlich vereinfachte. Die einzige Schwierigkeit war das Fehlen bestimmter Buchstabenformen, die nötig waren, um den Zeichensatz zu komplettieren. Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie die fehlende Zeichen aussehen könnten, wurden hierzu gedruckte Beispiele der gebrochenen Schriften Fleischmanns zu Rate gezogen.
Während des Gestaltungsprozesses wurde klar, dass es sinnvoll wäre, zwei Versionen zu entwickeln: Eine für große Anwendungsgrößen mit feinen Haarlinien und hohem Strichstärkenkontrast sowie eine robustere mit geringerem Kontrast für kleinere Größen.
Paragon Flamande – Rosarts Textura – No. 900. Schriftmuster der Witwe Decellier, 1779.
Text Flamande – Rosarts Textura – No. 822. Schriftmuster der Witwe Decellier, 1779.
Michel begann seine Materialrecherche für die Entwicklung einer umfangreichen digitalen Serie von Ornamenten im Museum Plantin-Moretus. Er fand dann heraus, dass historische Zeugnisse der schriftgießerischen Aktivitäten der Druckerei Johan Enschedé erhalten geblieben sind und diese im bereits erwähnten Noord-Hollands Archief aufbewahrt werden. Nach seinem ersten Besuch war Michel von der großen Menge an historischem Material, wie beispielsweise den von Rosart geschnittenen Stempeln, den gedruckten Schriftmustern und den handschriftlichen Dokumenten aus dem 18. Jahrhundert, völlig überwältigt.
Die Materialien in die Hand nehmen und befühlen zu können, war eine großartige Erfahrung. Es war zweifellos beeindruckend, jene Stempel zu untersuchen und zu fotografieren, die Rosart im 18. Jahrhundert persönlich ausgeliefert hatte. Nachdem Michel zahlreiche Materialien gesammelt und dokumentiert hatte, begann er, von der Schönheit und detaillierten Ausführung inspiriert, mit der Digitalisierung der Ornamente.
Oder, in anderen Worten: Was genau ist der Mehrwert von Rosarts Schriften? Zu seiner Zeit galt er beispielsweise als jemand, der nicht an das Niveau seines berühmten Zeitgenossen Fleischmann heranreichte. Auch Jahrhunderte später äußert sich Daniel Berkeley Updike in „Printing Types: Their History, Forms, and Use“ (1922) alles andere als positiv über Rosarts Oeuvre. Jedoch trägt das Rosart-Revival zweifellos zur Vielfalt der heutigen, digital verfügbaren typografischen Palette bei, da sein Œuvre einzigartige Eigenschaften aufweist.
Im Jahr 2015 wurde von den fünf Alumni der „Expert class Type design“ eine Broschüre entwickelt. Sie präsentiert nicht nur die Ergebnisse des Rosart-Projekts, sondern stellt auch einen kompakten Leitfaden dar für alle, die historisches Material von Schriftgießereien untersuchen und ein Revival produzieren möchten. Die Texte sind in englischer Sprache verfasst. Die illustrierte Broschüre enthält 44 Seiten (143 × 210 mm) und wurde in einer Auflage von 500 Exemplaren gedruckt.
Le Rosart ist ein Revival der von Rosart geschnittenen Text- und Display-Schriften. Entwickelt wurde es von Lukas Schneider mit Unterstützung durch Ray O’Meara. Die zeitgenössische Interpretation ist durch umfangreiche Recherchen historischen Materials geprägt. Dazu gehörten neben der Sichtung und Analyse verschiedener Schriftmuster auch die Untersuchung von Rosarts Originalstempeln und -matrizen, die im Archiv des Museums Plantin-Moretus in Antwerpen aufbewahrt werden. Genau wie die Arbeit seines Rivalen Fleischmann weisen Rosarts Entwürfe eine vertikale Kontrastachse und tropfenförmige Abschlüsse auf. Die digitale Version übernimmt diese Merkmale zusammen mit barocken Merkmalen wie dem „g“ mit „Antenne“, dem eigenwilligen „G“ oder den ausgestellten Serifen beim „E“.
Die von der Revolver Type Foundry herausgegeben Le Rosart wurde konzipiert, um den heutigen typografischen und technischen Anforderungen gerecht zu werden. Die Schriften wurden in zwei optischen Größen gezeichnet. Die majestätischen Display-Stile werden dabei durch eine eher zurückhaltende Textvariante ergänzt. Le Rosart Text ist für kleinere Größen optimiert und zeichnet sich durch kräftigere Haarlinien, robuste Serifen und eine großzügigere Laufweite aus. Die Text- und Display-Schnitte enthalten beide eine Reihe von Ligaturen, Wahlformen, verschiedene Ziffernsätze einschließlich Bruchziffern, Pfeile und anderen Symbole, sowie Elemente zum Erstellen von Akkoladen (geschweifte Klammern bzw. Trennlinien) für die Textgestaltung. Die Text- und Display-Varianten umfassen jeweils fünf Strichstärken mit aufrechten und kursiven Stilen und sind für die Desktop-, App-, E-Book- und Webnutzung verfügbar. Testversionen zur Verwendung in Entwurfsprogrammen können auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: info@revolvertype.com
Die DTL Rosart Flourished Capitals bestehen aus vier digitalen Schriften und wurden von Walda Verbaenen und Michel Paré gestaltet. Diese befinden sich derzeit noch in der Entwicklung, werden aber bald verfügbar sein. Um benachrichtigt zu werden, wenn diese zur Verfügung stehen, wenden Sie sich bitte an:info@rosart.com
Die lichten Versalien sowie die Titel-Versalien sind von Michel Paré entworfen und derzeit noch in Arbeit.
Die 865 digitalen Ornamente und Zeichen lassen sich für dekorative Trennlinien oder Rahmen sowie zur Strukturierung und Gestaltung von Texten einsetzen.
Neben verschiedenen aufrechten und kursiven Stilen hat Rosart auch einige gebrochene Schriften geschnitten. Ein Revival von Rosarts Schriften aus dem 18. Jahrhundert wäre ohne eine Textura oder „Flamande“, wie diese Gattung in den Niederlanden damals genannt wurde, nicht vollständig.
Ähnlich wie seine aufrechten Antiqua-Schnitte zeichnen sich Rosarts gebrochene Schriften durch eine vertikale Kontrastachse und scharf umrissene Formen mit relativ breiten Versalien und schmuckvollen Details aus. Eigenheiten wie das „s“ mit dem geschwungenen Abschluß in Tropfenform und insbesondere die dekorativen „Fühler“ an den Ober- bzw. Unterlängen von „b“ oder „p“ offenbaren die Herkunft aus dem Zeitalter des Barock. Die Recherche von Rosarts Flamande erwies sich als schwierig, da nur wenige gedruckte Beispiele erhalten sind. Um fehlende Zeichen ergänzen zu können, wurden die von Rosarts Zeitgenossen Fleischmann geschnittenen Schriften als Sekundärreferenz verwendet.
Die Le Rosart Textura wurde in zwei Varianten hergestellt. Die mit den Zusätzen A und B bezeichneten Schnitte unterscheiden sich in der Stärke des Kontrasts. Jene mit feineren Haarlinien ist für größere Anwendungen geeignet, die robustere bietet sich für kleinere Größen an. Mit mehr als 600 Glyphen pro Schnitt werden die meisten auf dem lateinischen Alphabet basierenden europäischen Sprachen unterstützt. Die Rosart Textura ist als Desktop-, App-, E-Book- und Weblizenz erhältlich. Testversionen zur Verwendung in Entwurfsprogrammen können auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: info@revolvertype.com
Bestehend aus insgesamt 20 digitalen Fonts, die von Lukas Schneider in Zusammenarbeit mit Ray O’Meara entwickelt wurden. Es handelt sich hierbei um Neuinterpretationen der von Rosart im 18. Jahrhundert entworfenen Schriften.
Eine digitale Schriftart in zwei Varianten, basierend auf Rosarts Textura des 18. Jahrhunderts. Die Schriften wurden von Lukas Schneider entwickelt und sind in Kürze verfügbar.
Die Rosart Ornament Fonts enthalten etwa 865 Piktogramme und Zierelemente, die ursprünglich von Rosart entworfen wurden. Diese Schriften wurden von Michel Paré entwickelt.
Diese Serie besteht aus 4 digitalen Schriften, die nach den Originalentwürfen von Rosart neu gezeichnet wurden. Die digitale Version wurde von Walda Verbaenen und Michel Paré entwickelt und sind in Kürze verfügbar.
Lizenzen für Le Rosart Text und Display sowie Le Rosart Textura können hier bezogen werden:
Revolver Type FoundryLizenzen für Rosart Ornaments und Flourished Capitals können hier bezogen werden:
Dutch Type Library© 2020 – Alumni des Kurses „Expert class Type design“ 2014–2015
am Plantin Institute for Typography, Antwerpen, Belgien
Ianthe Bato, Artur Frankowski, Ray O’Meara, Michel Paré, Lukas Schneider und Walda Verbaenen. Gestaltung der Website: Lukas Schneider
Übersetzung aus dem Englischen: Florian Hardwig und Lukas Schneider
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